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Die Liebe und ihre Projekte

30. Dezember 2011

Schon seit längerem denke ich darüber nach, warum die Liebe eigentlich so oft als Problem gesehen wird, während sie doch in Wirklichkeit etwas Großartiges und Schönes ist. Hier meine Idee, die noch etwas über das hinausgeht, was Eva Illouz als Problem der spezifisch mittelständisch-bürgerlich-romantischen Liebesbeziehung ausmacht.

Und zwar ist meine These, dass das Problem heute nicht in der Liebe als solcher liegt, sondern darin, die Liebe in ein bestimmtes Lebensprojekt zu überführen – was die bürgerliche Hetero-Paarbeziehung sein kann (die heute manchmal auch homosexuell ist), aber nicht muss. Das Projekt kann auch eine polyamore Beziehungsstruktur sein oder aber auch die Liebe zu einem Beruf oder zu einem politischen Engagement. Der Irrtum unserer Kultur besteht nun darin, dass wir glauben, dass aus der Liebe automatisch oder zwangsläufig ein gelungenes Projekt hervorgehen muss, und wenn das nicht der Fall ist, dann muss irgend etwas falsch gelaufen sein.

Doch Liebe und Projekte existieren erst einmal getrennt voneinander. Man wünscht sich für das eigene Leben ein Projekt – zum Beispiel möchte man Kinder haben, ein Haus bauen, einen sinnvollen Beruf ausüben oder etwas dergleichen. All das kann man auch ohne Liebe, gewissermaßen rein pragmatisch angehen. Man braucht für solche Projekte zwar andere Menschen, aber das müssen nicht Menschen sein, die man liebt, es können auch Menschen mit gleichen Interessen sein, Menschen, die von der Einstellung und vom Lebensstil her ähnlich sind, mit denen man gut kooperieren kann.

Allerdings funktionieren diese Projekte besser, wenn Liebe dabei im Spiel ist, Begehren. Ich kann einen Mann heiraten, ein Haus bauen, Kinder kriegen, ohne diesen Mann zu lieben. Aber wenn Liebe dabei ist, ist es schöner. Ich kann Rechtsanwältin oder Managerin werden, weil ich mir das vorgenommen habe (etwa nach einem Vergleich der Einkommens- und Karrierechancen verschiedener Berufe). Aber wenn ich genau diese Tätigkeit auch liebe, wenn mein Begehren darin steckt, ist es schöner. Ich kann Umweltaktivistin oder Tierschützerin werden, weil ich rational einsehe, dass das wichtig ist oder weil ich Leute getroffen habe, die mich dazu überreden, aber wenn genau bei diesem Thema auch mein innerstes Herzblut dran hängt, ist es schöner.

Liebe, so behaupte ich, ist keine Sache an sich, Liebe ist kein Substantiv. Sie ist eher ein Adjektiv, eine bestimmte Qualität, die eine Beziehung hat – oder eben nicht. Es gibt Beziehungen zu Menschen, zu Tätigkeiten, zu Dingen mit und ohne Liebe, aber wenn Liebe dabei ist, sind diese Beziehungen schöner. Dann eröffnen sich mehr Möglichkeiten, dann ist Strom drauf.

Allerdings wird Liebe bei uns nicht so gesehen. Liebe wird als etwas begriffen, das zu bestimmten Lebensprojekten unabdingbar dazu gehören soll (die Paarbeziehung, die Familie), bei anderen Lebensprojekten aber als verzichtbar oder nebensächlich angesehen wird (die Arbeit, die Politik). Und das ist meiner Ansicht nach das Problem.

Denn wenn diese große motivierende Kraft, die das Begehren, die Liebe, darstellt, eingehegt wird auf ein bestimmtes Projekt (die Paarbeziehung), dann wird dieses Projekt schlicht überfordert, während alle anderen Projekte tendenziell lieblos werden.

Das führt dann dazu, dass, wenn ich mich zum Beispiel in einen Menschen verliebe und er oder sie sich idealerweise auch in mich, viele glauben, sich damit auch auf ein bestimmtes Lebensprojekt festzulegen. Wenn sich aber nun herausstellt, dass die beiden im Bezug auf Paar-Haus-Kinder unterschiedliche Vorstellungen in ihrem Leben haben, ist das Problem da. Man hält die Liebe für gescheitert, findet die anderen egoistisch, hat den Eindruck, dass irgendetwas falsch läuft und geändert werden muss.

Hierher rührt die falsche Auffassung, die neuerdings überall zu hören ist, dass zu viel Freiheit ein Problem für die Liebe sei. Das genaue Gegenteil ist der Fall: Die Freiheit, die liberale Gesellschaften uns bieten – dass wir unsere Lebenspartner_innen nicht nur aus derselben Kultur oder Klasse oder aus einem bestimmten Geschlecht auswählen können, dass auch unser Lebensweg nicht vorherbestimmt ist, sondern dass wir bei all dem dem „Ruf der Liebe“ folgen können, wenn man es mal so platt sagen will – ist eine großartige Möglichkeit und erweitert das Potenzial der Liebe.

Das einzige, was wir uns dabei klar machen müssen, ist dass zwei Menschen, die sich lieben, deshalb noch nicht automatisch dieselben Projekte verwirklichen wollen. Früher wollten sie das aber auch nicht. Früher war es nur so, dass die Menschen in der Wahl ihrer Projekte weniger frei waren als heute, und dass danach, ob dabei Liebe im Spiel ist, meistens gar nicht erst gefragt wurde.

Das Leben ist schlicht und einfach besser und schöner, wenn ich mehr Möglichkeiten habe, meinen Liebesimpulsen zu folgen. Aber die Liebe ist eben bloß ein erster Motivationsschritt, eine Kraft, die mir Orientierung gibt, weil ich von irgendetwas oder irgendjemandem angezogen werde, sie ist noch nicht die ganze Geschichte. Die Liebe überwindet Anfangsschwierigkeiten, denn sie steht über der Vernunft. Die Liebe macht es möglich, dass ich mich mit Menschen beschäftige und ihnen Aufmerksamkeit schenke, die die Vernunft gleich als ungeeignet aussortieren würde. Die Liebe bringt mich dazu, Projekte anzugehen, auch wenn sie erst mal unmöglich oder viel zu schwierig zu sein scheinen. Liebe ist ein Anreiz, eingefahrene Bahnen zu verlassen, wer liebt ist mutig und stark.

Aber die Liebe ist kein Ersatz dafür, dass ich mir überlege, welches denn meine Lebensprojekte sind, was ich überhaupt will. Die Liebe bietet zwar Orientierung und öffnet Türen – aber dann muss ich eben auch noch überprüfen, ob ich dahin, wohin sich eine Tür öffnet, überhaupt gehen will. Die Liebe, für sich genommen, ist inhaltsleer. Sie bedeutet noch nicht, dass danach dieses oder jenes getan wird. Und deshalb muss ich auch akzeptieren, wenn andere vielleicht nicht unbedingt durch die Türen gehen wollen, die ihnen ihre Liebe zu mir öffnet. Ich kann nicht erwarten, dass sich jemand, nur weil er mich liebt, sich denselben Projekten verschreibt, die mir in meinem Leben wichtig sind.

Wenn zwei sich lieben, dann sind ihre Projekte nicht automatisch dieselben, das muss anschließend noch verhandelt werden. Allerhöchstens erhöhen sich die Chancen, dass sie etwas Gemeinsames finden. Vielleicht aber auch nicht, vielleicht sind ihre Ansichten, Wünsche, Gewohnheiten, Ziele einfach zu unterschiedlich. Dann trennen sie sich wieder und es war trotzdem eine schöne Zeit und kein Scheitern.

From → Grundlegendes

16 Kommentare
  1. Dumm nur, wenn die „Projekte“ auch Menschen sind, die vielleicht nicht so die freie Wahl haben, wen sie lieben …

    • @Benni – Versteh ich nicht. Ist das jetzt ein Einwand gegen den Text oder nur so eine ergänzende Bemerkung in der Richtung, dass es auch noch andere Probleme auf der Welt gibt? Das ja.

  2. Naja, irgendwie glaub ich ein bisschen beides…

    Zum einen stört mich an dem Text die Vermischung komplett unterschiedlicher Phänomene alles unter dem Label „Liebe“. Klar, es gibt so eine allgemeine Gemeinsamkeit von Dingen/Menschen/… die wir begehren. Aber ich finde da doch den Begriff „Begehren“ passender und treffender.

    Und deutlich geworden ist mir das an der Liebe zwischen Eltern und Kindern, die eben ganz anders ist, als das was Du da schreibst. Die beruht ja gerade auf Verlässlichkeit und nicht auf einem ja manchmal auch eher zufällig sich mal hierhin mal dorthin richtenden Begehren.

    Wenn dann noch beides zusammenkommt, wie eben ja bei dem Projekt „Kinderkriegen“ üblich, dann finde ich wird deutlich dass diese saubere Trennung, wie Du sie da ziehen willst, hier die Liebe – die über der Vernunft steht-, da die vernunftgeleiteten „Projekte“ nicht stimmig ist (also für mich). Sollte feministische Kritik nicht gerade solche Dualismen hinterfragen?

    • @Benni – Danke für die Konkretisierung, ich habe nochmal drüber nachgedacht, wie ich es meine (den Text hab ich gestern relativ schnell hingetippt, um es aus dem Kopf zu haben):

      Ich trenne ja nicht zwischen Liebe und Projekten, im Gegenteil, wenn ich sage, die Liebe ist nur ein Attribut, dann kann es sie ja gar nicht unabhängig von Projekten geben. Ich unterscheide aber zwischen beidem, indem ich sage: Liebe allein reicht für Projekte nicht aus. Oder: Liebe führt nicht automatisch zu bestimmten Projekten. Projekte können auch ohne Liebe bestehen, aber dann sind sie nicht so gut (wie ein Kuchen auch ohne Guss gegessen werden kann, aber dann nicht so gut ist). Das gilt meine ich auch für die Liebe zwischen Eltern und Kindern. Kinder müssen versorgt werden, auch unabhängig davon, ob die Eltern sie lieben. Aber wenn die Eltern sie lieben, ist es besser. Andererseits bedeutet Elternsein nicht automatisch, dass man die Kinder auch liebt (behaupte ich, jedenfalls nicht durchgängig). Der Punkt ist nämlich: Liebe kann ich nicht erzwingen. Ich kann nichts dagegen tun, wenn ich nicht liebe (generell nicht, in diesem Moment nicht). Das meine ich, wenn ich sage, Liebe ist „unvernünftig“, sie ist auch unverfügbar. Sie „nimmt mich in Besitz“, ich kann mich dazu zwar verhalten (dem nachgeben, ignorieren, kalt duschen, was weiß ich), aber ich habe sie nicht in meiner Gewalt. Anders die Vernunft.

      Vielleicht will ich darauf hinaus, dass eine Kulturtechnik unter Bedingungen der Freiheit bedeuten muss, diese „Zusammenarbeit“ zwischen Lebensprojekten und dem Phänomen/Attribut der Liebe besser zu reflektieren.

      @Rolf – Ja, ich würde die Liebe in der Tat nicht gerne definieren. Ich verstehe sie allgemein, aber nicht einfach jedes positive Gefühl, sondern eher wie eine Anziehung, die nicht allein auf rational nachvollziehbaren Gründen beruht, sondern einen transzendenten Anteil hat. Aber wenn man die Liebe auch nicht definieren kann, so kann man sie doch erkennen, es gibt einige Symptome (Herzklopfen, dauernd an etwas/jemanden denken, wenig Schlafbedürfnis, Bereitschaft, große Unannehmlichkeiten auf sich zu nehmen etc…), die wie bei einer Krankheit auch nicht total eindeutig sind, aber doch in der Summe Hinweise geben 🙂

  3. Die „Liebe“ wird oft falsch interpretiert, wir „lieben“ Menschen, Dinge, Passionen usw. Aber wissen wir wirklich jeder für sich, was überhaupt „Liebe“ ist? Wie zurrt man dieses Gefühl fest, ohne voreilig es als solches zu benennen und es am Ende doch nur ein Strohfeuer anderer Gefühle ist? Auch wenn diese positiv sind, muss es nicht Liebe sein.
    Oder ist das Wort „Liebe“ vielleicht nur ein Oberbegriff für positive Gefühle in unterschiedlichen Stärken, mal schwächer oder auch stärker?
    Meiner Meinung nach, ist es genauso schwer, „Liebe“ exakt zu definieren wie die Sterne am Himmel zu zählen, wir wissen, es ist da, können es aber nicht genau berechnen.

  4. Die Liebe sagte zu den Gedanken: „Schweigt, seht und fühlt, dann wisst ihr, wer ich bin.“

    Ich finde es immer bereichernd, anregende Gedanken zu lesen, deshalb besuche ich auch gerne diesen Blog. Der Satz kam mir spontan in den Sinn, als ich den Text über Liebe und Projekte gelesen habe.

  5. @Antje: Und was ist mit der Liebe der Kinder zu den Eltern? Die haben ja keine Wahl, sondern sind existentiell darauf angewiesen ihre Eltern zu lieben.

    Die Vernunft hab ich ja übrigens auch nicht in der Gewalt. 1+1 ist 2 egal, wie sehr ich mich dagegen wehren mag 😉

    • @Benni – Vielleicht ist das ein Trick der Liebe, dass wir tatsächlich das lieben, worauf wir existenziell angewiesen sind? Nur so ein Gedankenblitz grade.

      Die Vernunft hingegen hast du in der Gewalt (jedenfalls nach dem klassische Konzept von Vernunft, das aber vermutlich falsch ist, was nochmal ein anderes Thema wäre), denn du kannst zwar natürlich nichts daran ändern, dass 1+1 = 2, aber du kannst dich vernunftmäßig dafür entscheiden, diese Tatsache zu akzeptieren und deine Handlungen darauf zu gründen oder aber nicht, also „unvernünftig“ zu sein.

  6. Ohne Freiheit keine Liebe. Aber ohne Liebe auch keine gelungene Freiheit. Wobei ‚gelungen‘ nicht mit ‚erfolgreich‘ gleichzusetzen ist. – Die Liebe ist auch etwas, das wächst, still und hartnäckig.

  7. „Liebe ist „unvernünftig“, sie ist auch unverfügbar. Sie „nimmt mich in Besitz“:
    habe ich schon anders erlebt. ich fands sehr aufschlußreich zu spüren, dass bei sehr aufmerksamer hinwendung plus tief ins herz atmen liebesgefühle entstehen können. ich kann also sehr wohl beeinflussen und entscheiden, welche/wen ich liebe

    • @Innana – Ja, das glaube ich auch, dass man es beeinflussen kann. Aufmerksamkeit und Hinwendung hilft sicher, aber ich glaube nicht, dass es bei allem und jedem funktioniert. Aber es ist ein spannendes Thema, das hier auch nochmal drankommen müsste, inwiefern Liebe beeinflussbar, ich würde eher sagen: kultivierbar ist.

  8. Genau, LIEBE KULTIVIEREN,und zwar dort wo es sinn-voll,not-wendig und möglich ist,das ist sicherlich die große Aufgabe und Herausforderung, vor die wir gestellt sind!

  9. Matthias permalink

    Es gibt ein Zitat, welches mir im Zusammenhang mit diesem Text einfiel:

    »Du kannst sehr gut kochen«, lobte sie mich.
    »Nein, das stimmt nicht. Ich koche mit Liebe. Das macht einen gewaltigen Unterschied. Es ist eine Frage der Einstellung. Wenn man wirklich bereit ist, sich einer Sache mit ganzem Herzen zu widmen, dann meistert man sie auch bis zu einem gewissen Grad. So kann man sich ein angenehmes Leben schaffen.«
    »Mehr nicht?«
    »Der Rest ist Glückssache.«
    (aus: Haruki Murakami – Tanz mit dem Schafsmann)

    Danke für den wundervollen Artikel.

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